¥
Werther-Arrode (C.).
Ein Mädchen mit Hut sitzt ganz still auf dem Sessel. Ihr Mitschüler steht mit Palette und Pinsel daneben und simuliert das Malen eines Porträts. Direkt gegenüber an der Wand hängt das Porträt der Sonja Böckstiegel. Sie sieht nicht gerade glücklich aus. Ihr Vater, Peter August Böckstiegel, hatte sie stundenlang Modell sitzen lassen und ihren tatsächlichen Gesichtsausdruck festgehalten.
„Was denkt ihr, warum Sonja so guckt?”, lautet die Frage von Museums- und Kunstpädagogin Klaudia Defort-Meya an die Grundschüler der Klasse 4 c. „Weil man nicht stundenlang lächeln kann”, „Weil sie lieber draußen mit den anderen Kindern spielen wollte”, die Antworten sprudeln nur so heraus. Die Kinder ergründen die Gefühle, die sich in Sonjas Gesicht widerspiegeln: Traurig und müde finden die Kinder sofort he-raus.
Klaudia Defort-Meya erzählt, was Sonja Böckstiegel zu Lebzeiten bei Führungen durch ihr Elternhaus zum Porträt gesagt hat. Es deckt sich erstaunlich mit den kindlichen Beobachtungen. Es entsteht eine verstehende Beziehung zwischen den neugierigen Schulkindern von heute und der Tochter des Malers. Die Schüler sind aufmerksam und gespannt.
Kinder entdecken Farben und Motive des Meisters
Nach informativen Einheiten im Museumshaus kommen die Kinder auf den von der Sonne beschienem Platz vor dem roten Haus und finden Berge von Kitteln und Schürzen und eine große Kiste voller Holzschuhe. In wenigen Minuten schlüpfen die Kinder in die Alltagskleidung zu Jugendzeiten des Malers. Viele Kinder wurden damals in Holzschuhen zur Schule geschickt, lernen sie. Der Weg bis zur Ampelschule blieb den heutigen Noch-Grundschülern erspart. Aber ein Gefühl, wie es sich in den »Holschen« so läuft, das nehmen sie für immer mit.
Bei einem Besuch im Allerheiligsten, dem Atelier Böckstiegels, lernen die Kinder etwas über den unverkennbaren Malstil des Meisters. Sie beschreiben seine Farben und ländlichen Motive. Sie entdecken eine blauweiße Kanne auf dem Sims. Sie findet sich wieder im Stillleben mit Äpfeln nebenan.
Sie entdecken die expressionistische Farbwahl und begreifen, was Komplementärfarben sind. Anke Brandt, die zweite Kunst- und Museumspädagogin schafft es, Kunst und Künstler zum Spannendsten der Welt zu machen. Die Kinder hören gebannt zu.
Zum Abschluss dieses intensiven Besuchs in Arrode malen die Kinder direkt auf dem Pflaster vor dem Haus eigene Stillleben und üben so schon einmal für den großen Tag, der schon bald kommt: Dann sollen sie das erste eigene Stillleben à la Böckstiegel in der Schule malen.
Diese Kinder werden Böckstiegel und seine Welt nie mehr vergessen. Das ist genau das, was das Schulprojekt erreichen will. Keiner will nach Hause. Eine erste zarte Beziehung zur Kunst ist geknüpft.