Ein Schulleiter muss Pläne für die Zukunft erstellen. Da bildet Martin Bauer keine Ausnahme - allerdings endet sein Planungshorizont im Jahr 2018. Dann soll die städtische Hauptschule Geschichte und endgültig in der neuen Sekundarschule aufgegangen sein. „Ich musste der Schulaufsicht jetzt eine Übersicht unserer prognostizierten Schülerzahlen übermitteln”, berichtet Bauer und deutet auf eine vielfarbige Grafik, die das Problem deutlich macht: 206 Schüler hat die städtische Hauptschule derzeit, nach den Sommerferien werden es noch rund 160 sein. „40 bis 50 Schüler verlieren wir nach ihrem Abschluss jedes Jahr. Und damit haben wir 2015/16 mit prognostizierten 105 Mädchen und Jungen eine kritische Grenze erreicht”, sagt Bauer.
Lehrermangel schürt Sorgen um die Zukunft
Denn mit sinkender Schülerzahl stehen einer Schule entprechend weniger Lehrer zu. „Die Stadt hat das nachvollziehbare Ziel ausgegeben, alle Hauptschüler bis zu ihrem Abschluss qualitativ gleichbleibend zu unterrichten”, sagt Bauer. „Aber das wird natürlich immer schwerer, wenn wir das Fächerangebot und die Stundenzahl nicht mehr gewährleisten können.” Der Schulleiter kann sich derzeit noch nicht vorstellen, wie die Hauptschule auf konstantem Niveau bis 2018 am Leben erhalten wird - selbstständig scheint ihm das kaum möglich.
Im Versmolder Rathaus gibt man sich optimistischer. „Es gab Gespräche mit der Schulrätin Dagmar Kirchhoff, die bekräftigt hat, auf die Situation eingestellt zu sein”, sagt Hans-Jürgen Matthies, für die Schulen zuständiger Fachbereichsleiter und komissarischer Verwaltungschef. „Auch in anderen Bezirken werden Hauptschulen aufgelöst - dieser Prozess ist für die Verantwortlichen also nichts Neues.” Die Zusammenarbeit etwa mit der CJD-Sekundarschule sei ausdrücklich möglich - „und es muss den Austausch von Lehrern mit einer anderen Schule auch geben”, betont Matthies. Ein konkreter Fahrplan zur Unterstützung der Hauptschule ab 2015 liege jedoch noch nicht auf dem Tisch.
Martin Bauer steht auch jetzt im Alltag schon vor vielen Fragen des Mangels: Wie viele Lehrer werden weitermachen? Passt das Fächerangebot? Können genug Unterrichtsstunden angeboten werden? „Jeder Kollege muss schauen, wo er bleibt. Zeichnet sich, wie jetzt mit der geplanten Haller Gesamtschule, ein neuer Arbeitgeber ab, muss man eine Interessensbekundung abgeben”, erklärt Bauer ganz sachlich - um dann doch anzufügen: „Natürlich geht der Wandel hier nicht ohne Tränen ab.”
Kollegium muss sich mehr als flexibel zeigen
Die 20 verbliebenen Lehrer an der städtischen Hauptschule - unter ihnen einige Teilzeitkräfte - brächten sich weiterhin mit 100 Prozent Einsatzkraft für die Schule ein. „Wir sind Kämpfer und Könner”, sagt Martin Bauer und schmunzelt mit Blick auf viele ungeahnte Talente: „Die Kollegen unterrichten ja nicht nur ihre Studienfächer, sondern darüber hinaus auch nach Neigungen.” Bauer selbst etwa - eigentlich Englisch- und Sportlehrer - hat auch schon zahlreiche Stunden in Erdkunde, Geschichte, Arbeitslehre oder Wirtschaft gegeben. „Bei Musik und Textilgestaltung komme ich allerdings an meine Grenzen”, sagt der Schulleiter - und verdeutlicht damit auch, dass nicht alle Engpässe kaschiert werden können.
Zwar kann die Schule verstärkt auf Quereinsteiger zurückgreifen, da Neueinstellungen kein Thema mehr sind - allerdings nur für begrenzte Zeit. Und so ist es Martin Bauers größte Aufgabe, Lücken zu stopfen und Kollegen zu motivieren, die selbst mit ihrer eigenen Zukunft beschäftigt sind. „Zum CJD und damit an die Sekundarschule wird wohl niemand wechseln”, sagt der 52-Jährige, „weil das mit der Aufgabe des Beamtenstatus verbunden wäre.”
Was die baulichen Veränderungen an der Schulstraße angeht (siehe Hintergrund), steht Martin Bauer in ständigem Kontakt mit der Stadtverwaltung und Architekt Frank Schönberg. Klassen müssen in provisorische Räume umziehen, um den Sanierungsarbeiten Platz zu machen - dafür profitieren die Hauptschüler nach den Sommerferien von einem neuen Trakt, in dem sie bis zum Auslaufen der Schule unterrichtet werden. Die Koexistenz mit der CJD-Realschule auf dem Gelände funktioniert. „Wir mussten vieles absprechen, wie etwa Schulhofnutzung, Pausenaufsicht oder Raumbelegung. Das läuft alles konfliktfrei - aber nebeneinander her, weil es eben zwei Systeme sind.”
Hauptschüler schauen genau auf ihre Wertschätzung
Die Hauptschüler haben sich nach Eindruck ihres Schulleiters mittlerweile mit dem schleichenden Ende abgefunden. „Aber sie schauen schon ganz genau darauf, welche Wertschätzung ihnen entgegengebracht wird”, sagt Bauer. „Als wir vor kurzem für eine brandschutztechnische Untersuchung Kleiderhaken abmontiert haben, wurde ich gleich gefragt, ob jetzt schon alles abgebaut wird.”
An solchen Geschichten merkt man Martin Bauer an, wie sehr ihn dieser Wandel berührt - schließlich ist er schon 14 Jahre an der Schule. „Ich habe wie ein Löwe um eine neue Eingangsklasse gekämpft. Mittlerweile kann ich akzeptieren, dass die Hauptschule auslaufen wird, aber das war auch für mich ein Prozess.”
Bauer selbst will im kommenden Schuljahr in jedem Fall noch die Verantwortung tragen. „Dann muss ich mir allerdings Gedanken über meine Perspektiven machen.” Umbruch und Ungewissheit machen eben auch vor ihm nicht Halt.
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