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"Habe meine Berufswahl nie bereut"

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Werther. "Hallo, Frau Cilli!" Viele Male am Tag schallt Gudrun Cilli dieser fröhliche Gruß der Kinder entgegen. Nicht nur, weil es sich gehört, die Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte »Im Viertel« zu grüßen, sondern weil die Jungen und Mädchen die 63-Jährige wirklich mögen. Generationen von Kindern hat die Erzieherin auf einem kleinen Stück ihres Lebens begleitet, hat mit ihnen gespielt, gelacht, gelernt, sie auf die Schulzeit vorbereitet. Längst bringen ehemalige Kindergartenkinder ihre eigenen Kinder zu Gudrun Cilli in die Kita. Im Sommer nun geht sie nach 37 Jahren als Leiterin in Werther und 45 Jahren im Berufsleben in den wohlverdienten Ruhestand. An diesem Sonntag, 14. Juni, wird sie in einem feierlichen Gottesdienst in der St. Jacobikirche offiziell verabschiedet. Im Gespräch mit HK-Redakteurin Anja Hanneforth blickt sie auf ihre Anfänge in Werther zurück und erzählt, warum sie nie einen anderen Beruf als den ihren ausüben wollte.

Frau Cilli, war es schon immer Ihr Wunsch, Erzieherin zu werden?

Gudrun Cilli: Ja, immer. Ich fühle mich übrigens mehr als Kindergärtnerin denn als Erzieherin. Eine Kindergärtnerin umhegt die Kinder, das Wort Erzieherin hat für mich etwas vom erhobenen Zeigefinger, das mag ich nicht so. Ich wollte immer Kindergärtnerin sein, weil ich in diesen Beruf alles einbringen kann, was ich selber gerne tue: Lesen und Vorlesen zum Beispiel, mit Wolle arbeiten, die Natur erleben. Wie oft haben wir hier zusammen mit den Kindern den Garten umgestaltet; auch etwas, das mir viel Spaß gemacht hat. Ich habe meine Berufswahl jedenfalls nie bereut.

Haben Sie selbst eine ganz persönliche, eigene Erinnerung an Ihre Kindergartenzeit?

Cilli: Viele. In den Kindergarten zu gehen hat mir Spaß gemacht. Und ich erinnere mich, dass ich ab und zu meine kleine Schwester besuchen durfte, als ich schon zur Schule und sie noch in den Kindergarten ging. Ich glaube, das hat meinen Berufswunsch geprägt und beeinflusst.

In der Kita »Im Viertel« sind Sie eine Institution. Erinnern Sie sich an die Anfänge?

Cilli: Natürlich. Im Oktober 1978 fing ich als Leiterin hier an, damals noch in den Räumen an der Tiefenstraße, dort, wo sich heute die Seniorenbegegnungsstätte befindet.

Wie war das denn damals?

Cilli: Anders als heute natürlich. Einen Kindergarten gab es dort bereits seit 1877, und alle Kinder aus Werther gingen damals in diesen Kindergarten. Die Räume entsprachen kaum den Bedürfnissen, was aber nicht schlimm war. Wir haben uns trotzdem wohlgefühlt, denn die Atmosphäre innerhalb der Gruppe hat gestimmt, und das war viel maßgeblicher. Meine Kolleginnen und ich konnten alle gut stricken, denn wenn die Heizung mal ausgefallen war, trugen wir alle selbst gestrickte Norwegerpullis. Den Kindern hat das damals übrigens nichts ausgemacht. Weil wir uns, damals wie heute, viel bewegt haben.

Vor Ihrer Tätigkeit »Im Viertel« haben Sie fast fünf Jahre einen Kindergarten in Bad Essen geleitet. Was gab den Ausschlag, nach Werther zu wechseln?

Cilli: Ich habe mir Werther bewusst ausgesucht, weil die Lage so schön ist. Der Kindergarten mitten im Ort, alles fußläufig zu erreichen, dennoch ruhig, aber auch nah an der Natur. Noch heute gehen wir oft mit den Kindern in den Wald, und das ging von der Tiefenstraße ebenso wie heute vom Viertel ganz schnell.

37 Jahre lang Kita-Leiterin: Was waren die Unterschiede zu heute?

Cilli: Die Rahmenbedingungen waren andere. Die Gruppen waren kleiner, die Kinder höchstens vier bis sechs Jahre alt. So junge Kinder wie heute wurden gar nicht aufgenommen. Und auch die Pädagogik war eine andere. Wobei ich immer versucht habe, keinen modischen Erziehungswellen zu folgen, sondern einen vernünftigen Mittelweg zu finden. Damit bin ich, glaube ich, immer gut gefahren.

1986 zog der Kindergarten von der Tiefenstraße auf das heutige Gelände Im Viertel. Eine große Veränderung?

Cilli: Und wie. Der Bau war für mich eine spannende Sache, weil ich die Möglichkeit hatte, alles mit dem Architekten zu besprechen und zu planen. Die Fensterbänke sollten zum Beispiel besonders breit sein, im Haus viel Holz und andere Naturmaterialien verbaut werden, und von den Garderoben musste es einen direkten Weg nach draußen geben, um diese auch als »Dreckschleuse« zu nutzen.

Wie wichtig ist es für Sie, einen kirchlichen Träger zu haben?

Cilli: Sehr wichtig. In den Anfängen gab es gar keinen anderen, heute könnte ich mir keinen anderen vorstellen. Ich habe immer geschätzt, dass hier ein christliches Miteinander gelebt wird. Und da war und ist es ganz egal, welcher Nationalität die Kinder angehören. »Lasset die Kinder zu uns kommen« steht als Motto auf unserem Balken geschrieben, und das meinen wir auch so.

Ihr schönstes Erlebnis als Kita-Leiterin?

Cilli: Da gibt es so viele, dass ich sie gar nicht aufzählen kann. Ganz wunderbar fand ich, wenn am alten Standort an der Tiefenstraße alte Leute kamen, die vor 80 Jahren dort in den Kindergarten gegangen waren, und fragten, ob sie die Räume mal sehen dürfen.

Ihr traurigstes Erlebnis?

Cilli: Mich macht es generell traurig, wenn Familien aus Werther wegziehen, die ich in ihrer Kindergartenzeit begleitet habe, und die ich wohl nie wiedersehen werde.

In den vergangenen Jahren hat sich bei der Kinderbetreuung viel geändert. Zweijährige und noch jüngere Kinder werden heute von Eltern wie selbstverständlich in die Kita gegeben - eine Entwicklung, die Sie begrüßen?

Cilli: Eine Entwicklung, die auf jeden Fall politisch gewollt ist. Und die funktioniert, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Räume müssen entsprechend ausgestattet und Personal muss vorhanden sein, denn es ist klar, dass die kleinen Kinder viel mehr Hilfe und Unterstützung brauchen als die größeren. Ich denke aber, dass die Kleinen bei uns gut aufgehoben sind.

Wenn man Sie im Umgang mit den Kindern erlebt, spürt man, dass Sie dies mit viel Herz tun. Bleibt eigentlich für Sie als Leiterin einer so großen Einrichtung noch Zeit, sich selbst mit den Jungen und Mädchen zu beschäftigen?

Cilli: Diese Freiräume schaffe ich mir einfach, denn die Bürokratie ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Die finanzielle und personelle Situation wird immer schwieriger, das ist eine große Belastung. Aber einmal in der Woche freitags, um 9.30 Uhr, läute ich die Glocke zur Märchenstunde, bestimmt schon seit 20 Jahren. Die Kinder fragen auch "Erzählst du uns heute wieder ein Märchen?", und das ist natürlich toll. Abgesehen davon, dass Lesen und Erzählen Dinge sind, die ich einfach sehr gerne mache.

Können Sie sich überhaupt einen Alltag ohne die Kita vorstellen?

Cilli: Nur schwer (lacht). Aber natürlich freue ich mich, nach der Pensionierung Zeit für andere Dinge zu haben. Fürs Reisen zum Beispiel oder für Spaziergänge mit dem Hund unserer Nachbarn. Außerdem singe ich mit Begeisterung im Gospelchor GAM. Und vielleicht suche ich mir irgendwann noch eine andere Aufgabe, als Lesepatin, Betreuerin der Hortkinder oder auch als Märchenerzählerin. Ganz sicher jedenfalls werde ich Werther immer verbunden bleiben.

Am Sonntag, 14. Juni, verabschiedet die evangelische Kirchengemeinde Gudrun Cilli offiziell in den Ruhestand. Zum Gottesdienst um 9.45 Uhr in St. Jacobi sowie zur anschließenden Feierstunde im Gemeindehaus - mit Imbiss und Kinderbetreuung - sind besonders auch die Familien der gegenwärtigen »Viertelaner« sowie Ehemalige eingeladen.


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