Von Katrin Beißmann
Halle. Sie sind traumatisiert, leiden unter Verfolgungswahn, Ängsten oder Persönlichkeitsspaltungen - die Insassen der Psychiatrie Rammstein-Miesenbach leben in ihrer ganz persönlichen Realität. Mit Bravour inszenierten dreizehn Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses Q1 am Donnerstag- und Freitagabend das hintergründige Theaterstück in der Aula des Kreisgymnasiums, in dem ein junges Mädchen den täglichen Wahnsinn in einer Anstalt erlebt, bis sie gemeinsam mit anderen Insassen anfängt ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
"Ich bin total gespannt und in freudiger Erwartung", gab Literaturkursleiter Martin Hüsgen vor der Premiere des Theaterstückes »Alice im Anderland« nach Stefan Altherr am Donnerstagabend preis. Es war kein leichter Stoff, den sich seine Schüler ausgesucht und selbstständig um einige Szenen erweitert hatten. In dem Psychodrama, angelehnt an Lewis Carrolls »Alice im Wunderland«, geht es um Geschehnisse in einer Nervenklinik, in der sich beklemmende Szenen zwischen Realität und Fantasie entwickelten. Gleich beim Eintreten in das Schulgebäude wurden die Besucher von den als Ärzten oder Pflegern verkleideten Literaturkursteilnehmern begrüßt, die neben Programmzetteln auch Medikamente für die Zukunftspatienten in Form von kleinen, mit tablettenähnlichen Bonbons gefüllten Beuteln verteilten. Zu Beginn der Inszenierung wurde das aus Schülern, Eltern und Lehrern bestehende Publikum effektreich mit einem Kurzfilm durch die trostlosen Räume der Psychiatrie Rammstein-Miesenbach geführt. In wechselnden Szenarien ließen die Laienschauspieler im Anschluss die unbarmherzige Atmosphäre der Klinik spürbar werden. Die beiden Ärzte, gespielt von Jordan Thelemann und Karla Joswig, deklarierten ihre Patienten als durchnummerierte Fallzahlen und ergingen sich in wissenschaftlichen Ausführungen. Eine Heilung der seelischen Nöte wollten sie ausschließlich mittels medikamentöser Ruhigstellung angehen.
In der Hauptrolle des fast zweistündigen Stückes überzeugte Elena Falke als Alice, die gemeinsam mit ihrer ständigen Begleiterin, der Grinsekatze (alias Gila Paschedag), allen Mitpatienten der Anstalt begegnet. In Anlehnung an die Geschichte der »Alice im Wunderland«, tauchten in ihrer Wahrnehmung bekannte Figuren wie der Hutmacher (Leon Kraft), das Kaninchen (Anne Speckmann), die Raupe (Jennifer Helbling), der Koch (Kaya Gencer) oder die Herzogin (Victoria Kühne) auf. In Gestalt der dominanten Herzkönigin (Finja Tanning), dem gewalttätigen Herzbuben (Julius Hagemann) und den beiden Lakaien Aylin Geceli und Johanna Deppermann begegnete ihnen das Böse, das mit rücksichtsloser Gewalt die Ausweglosigkeit ihrer Lage ausnutzte.
Das Stück endete mit einer überraschenden, aber sehr dramatischen Wendung - auch für die Patientin 263, »einem besonders tragischem Fall«. Viel Beifall war der Lohn für die gelungene Aufführung, die mit einfachen Mitteln, viel Kreativität, guten Effekten und tollen schauspielerischen Leistungen ein nachdenkliches, aber gut unterhaltenes Publikum hinterließ.