Halle. "Begegnungen mit Menschen stellen im Leben wichtige Weichen", weiß Hans- Jürgen Kuhlmann. Punkt für Punkt arbeitet der 65-Jährige Schlüsselsituationen seines Lebens ab und würdigt den Beitrag der Beteiligten an seiner Entwicklung. Schritt für Schritt wird dabei deutlich, wie er wurde, was er ist.
Volksschullehrer Josef Witt beschreibt Hans-Jürgen Kuhlmann so lebendig, als hätte er ihn erst gestern gesehen. "Ein ruhiger Mann Mitte 50, der Geige spielte." Witt überzeugt den kleinen Linkshänder ganz sachlich davon, die Schiefertafel mit der rechten Hand zu beschreiben. "Weil der Ärmel dann nicht die Schrift verwischt."
Dass gute Argumente ihren hohen Wert haben, ist ihm danach klar. Kuhlmann schreibt fortan mit rechts. Gegen Ende der Schulzeit ist er aber orientierungslos. "Unser Schulhausmeister war in der IG Metall und fragte nach unseren beruflichen Plänen." Der Anstoß wirkt und dem 14-Jährigen wird klar, er will noch nicht in die Berufsausbildung.
"Ich bin gern zur Schule gegangen, hatte aber wenig Lust auf Schularbeiten", erinnert sich der Ehemann, dreifache Vater und sechsfache Großvater. Die zweijährige Handelsschule Kohlhase wird seine nächste Station. Hier trifft er den Englisch- und BWL-Lehrer Helmut Petersen. "Ein eleganter Mann, der in der Kriegsgefangenschaft ein tolles Englisch gelernt hatte."
Petersen lässt ihn "elegant auflaufen". Hans-Jürgen Kuhlmann hatte einmal mehr nicht gelernt und sich bei einer Klausur "zum Mogeln strategisch günstig hingesetzt". Sein Lehrer durchschaut die Absicht und setzt ihn um. Die Klausur bringt eine Fünf. "Meine Abschlussnote war in Gefahr, ich hatte eine Zwei vorgelegt und schrieb in der dritten Klausur eine Eins."
Konsequent sei Helmut Petersen gewesen, außerdem hart, aber fair, sagt Kuhlmann, von dem seine Schüler dasselbe sagen. Konsequent ist der 16-Jährige auch nach dem Abschluss. Petersen rät zur Höheren Handelsschule. "Ich brauchte Geld für ein Moped, weil ich meine Freundin besuchen wollte."
Die Firma Heckewerth kann sich deshalb über einen Auszubildenden im Groß- und Außenhandel freuen und Hans- Jürgen Kuhlmann steuert auf seine nächste Schlüsselsituation zu. Juniorchef Ludwig Strack weckt bei ihm die Liebe zum Holz. "Wir hatten einen eigenen Import von Edelhölzern." Außerdem lebt ihm Strack beispielhaften Einsatz für seine Auszubildenden vor.
"Er legte Wert auf eine gute Ausbildung und hat uns Lehrlinge persönlich auf die Fachkundeprüfung vorbereitet." Das geschieht am Samstagmorgen und ist freiwillig. Kuhlmann versäumt "nicht eine Stunde". Seine Lehre daraus: "Es reicht nicht abzuwarten, bis andere einen schlau machen." Eigene Leistung in der Freizeit sei eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg.
18 Monate dauert der Wehrdienst, als Hans-Jürgen Kuhlmann zur Panzerartillerie eingezogen wird. Seine Grundausrichtung als Vorgesetzter holt er sich dort. "Ich hatte einen Hauptmann mit und einen ohne Verstand." Beim ersten Kompaniechef kommt er aus dem Staunen nicht mehr heraus, über dessen Wissen im staatsbürgerlichen Unterricht. "Der Mann hatte zwar keine Kommandostimme, aber eine natürliche Autorität und hohe Kompetenz."
Sein Nachfolger kann sich mit Lautstärke durchsetzen. Er ist aber nicht souverän. Hans-Jürgen Kuhlmann kommt mit seinem unabhängigen Geist bei diesem Chef schnell in Schwierigkeiten. "Ich habe dort gelernt, dass man mit Konzept und Linie führen und für sein Umfeld berechenbar bleiben muss, auch an mäßig guten Tagen."
Mit Blick auf den Ruhestand bleibt sich der scheidende Rektor treu. "Ich möchte mich sprachlich weiterentwickeln", sagt er und kündigt eine "intensivierte Reisetätigkeit nach Spanien, ins geliebte Frankreich und ins Baltikum" an. Das Jahrespensum von 4000 Kilometern auf dem Rad will er steigern und jungen Menschen den europäischen Gedanken nahebringen. Vom Unterrichten kann er nicht lassen, den richtigen Ort dafür wird er schon finden. Optimist ist Hans-Jürgen Kuhlmann übrigens auch.
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