Von Carolin Hlawatsch
Halle.
Pferd Tristan tritt nicht richtig auf, Hund Rocky will partout nicht fressen, Katze Mia kratzt sich ständig - der Einsatz von Tierarzt Dr. Volker Janssen ist gefragt. Seit nunmehr 13 Jahren leitet er die von seinem Vater Dirk Janssen gegründete Groß- und Kleintierpraxis inHalle.
Dabei behandelt er Pferde und Nutztiere wie Kühe und Schweine im jeweiligen Stall, die kleineren tierischen Exemplare wie Hund, Katze, Hamster oder Wellensittich in den Räumen der Praxis. Operationen, Haustiersprechstunde, dazwischen der Notfallanruf eines Landwirts, dessen Kuh Probleme bei der Geburt hat - unvorhergesehene Ereignisse und ein ausgefüllter Stundenplan bestimmen die Arbeitstage des Tierarztes."Na wie gehts Easy? Ihr Fohlen sieht gut aus." Volker Janssen begrüßt in einer Versmolder Hofdeele, in die die frühe Morgensonne strahlt, den Besitzer der Warmblut-Stute. Sechs Wochen nach der Geburt ihres Nachwuchses soll Easy erneut künstlich besamt werden, um im nächsten Frühjahr ihr zweites Fohlen zur Welt zu bringen. Mittlerweile ist die künstliche Samenübertragung fester Bestandteil der Pferdezucht. Das Erbgut herausragender Hengste wird so verankert. Ihre Samen werden in speziellen Transportbehältern an Besamungsstationen oder Tierärzte in die ganze Welt verschickt. "Bis zu 24 Stunden kann der Samen mit Kühlakku bei vier bis sechs Grad im Behälter überleben", weiß Dr. Janssen. Um den optimalen Zeitpunkt für die Besamung festzulegen und so die Wahrscheinlichkeit einer Trächtigkeit zu erhöhen, führt er eine gynäkologische Untersuchung der Stute mit seinem mobilen Ultraschallgerät durch.
Zehn Minuten später befindet sich Dr. Janssen schon wieder im Auto auf dem Weg zum Gestüt Westfalenhof in
Steinhagen.
Der Zeitplan ist wie immer eng gestrickt. Das weiß auch Gestütsleiter Sven Sudhölter, der das zu behandelnde Pferd bereits in die Untersuchungsbox geführt hat. Der Westfalenhof trägt seit 2011 den Titel EU-Besamungsstation. "Dafür erfüllen wir hohe Auflagen. Unsere Zuchthengste müssen regelmäßig auf Krankheiten beprobt werden", erklärt Sven Sudhölter. Volker Janssen fährt mit seinem Auto vor, in dem er stets sein »Tierarzt-Werkzeug«, einen Notfall-OP-Koffer und die Geburtentasche transportiert, bei Bedarf auch ein kabelloses Röntgengerät.Nach den Pferden hat er den Besuch eines zwei Tage jungen Lamas in Halle eingeplant. Doch auf der Fahrt dorthin erreicht ihn ein Anruf aus seiner Praxis. Über die Freisprechanlage hört er Tierarzthelferin Kerstin Schüler: "In Kölkebeck braucht ein Schaf Hilfe bei der Geburt." Als Volker Janssen am Hof ankommt, versuchen die Besitzer das Soayschaf einzufangen. Auch der Tierarzt zeigt nun sportliche Leistung auf der Wiese: Schaf gepackt, die bereits herausschauenden Beine des Lämmchens gefasst, ein kräftiger Zug und der Schafnachwuchs liegt im Gras.
Nun aber zum kleinen Lama in
Halle.
Es hat Glück. "Die Fehlstellung der Hintergliedmaßen wird sich von alleine herauswachsen", diagnostiziert der Tierarzt, der mittags zurück in seine Praxis fährt. Teambesprechung mit seinem Assistenten Tierarzt Dr. Stephan Purschke und den tiermedizinischen Fachangestellten Michaela Lüttmann und Kerstin Schüler, bevor zuerst die Untersuchungstermine oder Operationen der Kleintiere und ab 17 Uhr die offene Sprechstunde anstehen.70 Prozent der Arbeit von Volker Janssen machen die Großtiere aus, 30 Prozent die Kleintiere. Nach seinem Studium an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover, einem Jahr als Austauschstudent in Bern und der Arbeit als Assistenzarzt in diversen Praxen in Norddeutschland wurde Volker Janssen Oberarzt an der Klinik für Reproduktion und tierärztliche Ambulanz in Gießen. 2002 übernahm er die Praxis in Halle, in der er auch Operationen im kompletten Bereich der Weichteilchirurgie, also Behandlungen, die nicht am Knochen stattfinden, durchführt. Sind bei den Patienten schwere orthopädische Eingriffe oder OPs in der Brusthöhle nötig, kooperiert er mit Tierkliniken.
Inzwischen ist es 19 Uhr und das Wartezimmer an der Hachhowe 1 ist noch immer rappelvoll. Eine Katze wartet aufgeregt in ihrer Transportbox, dann endlich der Aufruf der Tierarzthelferin. "Wir machen einen Allergietest", schlägt Dr. Janssen vor, nachdem er das Tier untersucht hat. Zwergspitz Teddy hält brav still auf dem Untersuchungstisch, das Huhn mit Stirnhöhlenvereiterung hingegen möchte lieber sofort wieder aus dem Behandlungsraum hinausflattern.
Es sei die Vielfalt, die ihn an seinem Beruf besonders reize, so Janssen. Schon immer habe er sich für die Natur interessiert. Forstwirtschaft oder Medizin waren seine ersten Studiumspläne. "Doch als Humanmediziner arbeitet man noch spezialisierter als ein Veterinär", so der Haller, der als Tierarzt viele unterschiedliche Tierarten und verschiedene Organe behandelt. "Mein außergewöhnlichster Einsatz bisher war die Behandlung einer Giraffe im Zirkus in Gütersloh. Sie musste Blut abgenommen und eine Spritze bekommen", erinnert er sich.
Entscheide man sich heute für den Beruf Tierarzt, erlebe man aber schon während des Studiums den Trend zur Spezialisierung. "Es gibt Fachtierärzte für Reptilien, für Pferde, für Augen- oder Zahnheilkunde und, und, und", zählt er auf. Nur zwei von zehn Tiermedizinstudenten würden nach Abschluss in der kurativen Praxis arbeiten. Weitere Tätigkeitsfelder sind die Industrie, Forschung oder das Veterinäramt. Auf den Internetseiten der tierärztlichen Hochschulen prognostizieren Experten, dass Tierärzte auf dem Land, die sich den Nutztieren widmen, seltener werden. Viele Veterinärmediziner entscheiden sich heute für eine Haustierpraxis in der Stadt, die geregeltere Arbeitszeiten und die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit sich bringt. Zudem wächst die Bereitschaft der Haustierbesitzer, für die Gesundheit ihrer Lieblinge tief in die Tasche zu greifen. Tierärzte, deren Patientenspektrum von der Katze bis zur Kuh reicht, sind selten geworden. In einer Gemischtpraxis alles unter einen Hut zu bringen, ist eben sehr anstrengend und nur innerhalb einer straffen Planung mit festen Praxiszeiten zu schaffen. Für Volker Janssen ist der Einsatz für die Tiere, trotz Widrigkeiten wie Nachtbereitschaftsdienst, ein Traumberuf und so wie er sagt "quasi ein Lebensstil".