Quantcast
Channel: Haller Kreisblatt
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262

Ein Plädoyer für christliche Werte

$
0
0

von Alexander Heim

Werther. Ob die Wirtschaftskrise tatsächlich inzwischen derart biblische Ausmaße angenommen hat, dass ein Bankverein sogar eine Ex-Bischöfin zum Vortrag einlädt? Margot Käßmann mutmaßte es zumindest, als sie die rund 1000 Gäste des Bankvereins Werther - augenzwinkernd - im großen Festzelt auf dem Tiede-Gelände willkommen hieß. »Wertvoll für Werther« war der Mittwochabend überschrieben. Die Botschafterin für das Reformationsjubiläumsjahr 2017 führte dabei eindrucksvoll und wortgewaltig vor Augen, dass erfolgreiches Wirtschaften und die Orientierung an christlichen Werten durchaus kein Widerspruch sein müssen.

"Was wirklich zählt: christliche Werte in unserer Gesellschaft", hatte die Theologin ihren einstündigen Vortrag betitelt. In vier Abschnitten nahm sie dabei die gegenwärtige Situation der Gesellschaft unter die Lupe, rekurrierte auf die Aktualität der Zehn Gebote, befasste sich mit dem Wirtschaften im Allgemeinen und schlug eine Bresche für die Solidarität.

Vom griechischen Wort Oikos (Haus) stammen Begriffe wie Ökonomie und Ökologie ab, so Käßmann. "In diesem Haus", so die 56-Jährige, "müssen wir uns über Grundwerte verständigen." Und wer von Zuwanderern Integration fordere, so die Pastorin weiter, der müsse auch klarmachen, in welches Wertesystem es sich überhaupt zu integrieren gelte.

Ob christliche Werte noch zeitgemäß seien? "700 000 Fans gehen jeden Sonntag ins Stadion. Fünf Millionen Menschen in die Kirchen. Die Berichterstattung diesbezüglich ist ziemlich disproportional", urteilte die Hannoveranerin. "Die Kirchen sind Realität in diesem Land und tragen etwas bei zu den Werten. Ökonomie ist nicht alles."

Anhand aktueller Ereignisse und durchaus launig ging Margot Käßmann die Zehn Gebote durch, komplettierte ihre Ausführungen immer wieder mit persönlichen Erlebnissen und Anekdoten. "Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden", beschwor sie die 1000 Zuhörer im Zelt in Bezug auf das Fünfte Gebot ("Du sollst nicht töten"). "Ich glaube, wir müssen mehr Frieden exportieren, nicht mehr Waffen."

"Wer Egomanie lebt", so Käßmann weiter, "der verhindert den Blick auf das Miteinander. Gier ist dem Miteinander nicht zuträglich." Einen Wertewandel beobachte sie im ganzen Land, eine Neigung zur "Schnäppchen-Mentalität". "Die Bibel zeigt da eine gute Kontrast-Gesellschaft. Da heißt es nicht »Selig sind die Schnäppchen-Jäger«." Stattdessen stünden Barmherzigkeit und Sanftmütigkeit im Mittelpunkt. Mit Gier "geht Freiheit und Lebenslust verloren. Es macht nicht unbedingt glücklich, das Haben- und Halten-wollen. Liebe, Glück, Freundschaft und Vertrauen - sie kann man alle nicht kaufen."

Für Menschen, die unter den Hartz-IV-Bedingungen leben müssen, sei Geld sicherlich ein gewichtiger Faktor. Schlimmer aber noch sei das "Sich-ausgeschlossen-Fühlen." Margot Käßmann plädierte für eine Beteiligungs-Gerechtigkeit. "Keiner ist Macher des eigenen Lebens." Stets komme es auf die Unterstützung anderer an. Die Frage sei daher: "Gehe ich verantwortlich mit den Gaben um, die ich habe?"

Nein, einen Abstecher zu Martin Luthers Sicht auf Banken und Wucherzinsen konnte sich Margot Käßmann ebenso wenig verkneifen wie einen Seitenhieb auf das Thema der Überziehungszinsen. "Reichtum an sich wird in der Bibel nicht verurteilt", stellte sie klar. "Aber die Art, wie wir damit umgehen. Menschen sollen handeln und Verantwortung übernehmen. Aber sie sollen auch Rechenschaft ablegen. Wir brauchen einen realistischen und kritischen Umgang mit dem Geld." Schließlich "müssen wir die begleiten, die am Rande stehen. Ökonomie fürs Leben bedeutet die Beteiligung aller".

Vier Konsequenzen sieht sie daher: eine Ethik des Genug als Wert; ein Konzept von Gemeinschaft; ein Stellen der Sinnfrage; und gemeinsame Traditionen und Kultur.

Alles in allem ein Vortrag, der nicht in Gold aufzuwiegen war. Das versuchten Dr. Ulrich Bittihn, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold, sowie Günter Butenuth und Tim Eweler vom Bankverein denn auch gar nicht erst. Stattdessen hielten sie zehn Kilo vergoldete Süßigkeiten für die Ex-Bischöfin bereit und überreichten ihr - wie könnte es anders sein - nach so viel Wertarbeit »Werther’s Echte«.

Die Hannoveranerin signierte anschließend am Büchertisch der Buchhandlung Lesezeichen zahlreiche Bücher, während das rund 66-köpfige Team des Landhotels Jäckel den »Wertvoll-für-Werther«-Teller für die Gäste im Zelt anrichtete.

Solidarität zu üben, wie von Margot Käßmann beschworen, hatte sich der Bankverein übrigens groß auf die Fahnen geschrieben. Denn der Erlös der Veranstaltung soll - wie bereits im Vorjahr - erneut den Wer-theraner Vereinen zugutekommen.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262