Von Frank Jasper
Steinhagen.
Der Schrecken des Ersten Weltkriegs, das Grauen im Schützengraben, das beispiellose Massensterben - auf den Dokumenten, die Gemeindearchivarin Petra Holländer zurzeit für die geplante Ausstellung »Steinhagen und der Erste Weltkrieg« sichtet, sind sie nicht immer zu erahnen. Vielmehr legen die historischen Postkarten und Plakate Zeugnis ab über die damalige Propaganda, die im getöteten Soldaten zu allererst den Heldentod sah.Nachdem Unteroffizier Werner Drüge am 10. Mai 1918 gefallen war, erhielten die Angehörigen in Amshausen ein großformatiges Gedenkblatt, auf dem ihnen noch einmal schwarz auf weiß versichert wird, dass ihr Werner den Heldentod gestorben ist. "Er starb fürs Vaterland" steht da geschrieben. Darüber ein Bild eines offenbar toten Soldaten, zu dem ein Engel hinabgestiegen ist. Der Soldat scheint äußerlich unversehrt. Er fasst sich an die Brust, sein Helm ist vom Kopf gerutscht. Einschusswunden sind nicht zu erkennen. Kein Blut quillt aus dem Körper, kein Schmutz bedeckt die Uniform. Allein die ungelenke Körperhaltung lässt vermuten, dass sich dieser Mann nicht zum Schlafen hingelegt hat. "Die Schrecken des Krieges finden hier nicht statt", unterstreicht Petra Holländer die Botschaft des Plakats, das ihr Ralf Engelhardt für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hat.
Eine ganze Reihe von Postkarten hat Manfred Goldbecker für die geplante Dokumentation beigesteuert. Es handelt sich um Feldpostkarten, die von den Angehörigen an die Soldaten geschickt wurden, um ihnen Zuversicht und Durchhaltewillen zu vermitteln. Nicht selten sind sie auf der Rückseite mit dem Wunsch nach "einem frohen Wiedersehen in der Heimat" versehen.
Umgekehrt sendeten Soldaten Karten an ihre Familien, um sich für Pakete zu bedanken und ihnen zu vermitteln, dass es ihnen gut gehe - ein Lebenszeichen in wahrsten Wortsinn. Zum Fundus gehören auch so genannte Wohlfahrtskarten, mit denen zu jener Zeit die Kriegs-Invaliden unterstützt werden konnten.
Zeichensprache und Ästhetik der Abbildungen sind äußerst vielfältig und lohnen eine genaue Betrachtung. Schwarz-weiß-Fotografien wurden ebenso verwendet wie Zeichnungen. Alle Karten eint, dass sie kaum geeignet sind, die Wirklichkeit eines Krieges nachzuvollziehen. Vielmehr dienten sie dazu, sich gegenseitig Mut zu machen und der eigenen Rolle im Kriegstreiben einen Sinn zu geben. Vaterlandsliebe, Stolz und Heldenmythen sind aus gutem Grund immer wiederkehrende Motive auf den verwendeten Abbildungen. Aus heutiger Sicht wirken viele dieser Bilder abgegriffen und klischeebehaftet. Damals dürften sie durchaus ihren Zweck erfüllt haben.
Etwa die Zeichnung des jungen Soldaten in seiner adretten Uniform, der von zwei wohlwollend schauenden Damen eingerahmt wird. Es könnten seine Mutter und seine Großmutter sein, denen der Stolz auf ihren »Goldjungen« deutlich in den Gesichtern abzulesen ist. Oder das wie durch einen Weichzeichner abgebildete Liebespaar, das sich gegenseitige Treue schwört. Er in korrekter Uniform samt blanker Stiefel, sie tadellos frisiert im blütenweißen Kleid. Ein Stück heile Welt im Stahlgewitter.
Selbst der Soldatenalltag im Schützengraben wirkt auf einigen Postkarten geradezu romantisch, etwa wenn zwei Männer unter ihren Pickelhauben ihre Suppen löffeln, während sie die Gewehre hinter sich beiseitegelegt haben. »Mittagessen im Schützengraben« steht auf der nachcolorierten Fotografie geschrieben.
Einen offenbar gefallenen Soldaten auf einem Schlachtfeld zeigt eine andere Postkarte. Ein Pferd steht vor ihm und scheint den Mann zu beobachten, während die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Die Landschaft ist in kaltes Blau getaucht. Zumindest hier lässt es den Betrachter schaudern, wenngleich die Verbindung zwischen Ross und Reiter selbst dieser tragischen Situation etwas Rührendes abgewinnt.
Bis heute speisen sich unsere Kriegsvorstellungen von Bildern, wie sie auf derartigen Postkarten verwendet werden. Viele dieser Zeitdokumente werden hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wieder hervorgeholt, um an die Schrecken des Krieges zu erinnern. Auch in Steinhagen, wo der Arbeitskreis Geschichte des Heimatvereins und das Gemeindearchiv Ende des Jahres Exponate mit
Steinhagen-Bezug
zeigen wollen.Doch der Betrachter der Karten sollte sich stets vergewissern, welche Intention hinter den Motiven steht, und er sollte sie in den zeitlichen Kontext einordnen. Denn sie werfen oft geschönte Schlaglichter auf einen Krieg, der als »Urkatastro-phe des 20. Jahrhunderts« in die Geschichte einging.