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Berührend, ergreifend, unbedingt sehenswert

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Von Anja Hanneforth

Werther.
So ein Geburtstagsständchen hätte wohl jedes Herz erfreut. »Wie schön, dass du geboren bist« erklang es jetzt aus 40 Kehlen. Die Mitglieder des Arbeitskreises »Spuren jüdischen Lebens in Werther« hatten das Lieblingslied von Kurt-Wilhelm Weinberg mit Unterstützung zahlreicher Bürger angestimmt. Schließlich wurde Weinberg am Mittwoch 90 Jahre alt. Dass er und seine Frau Charlotte nicht dabei sein konnten, als im Rathaus die ergreifende und unbedingt sehenswerte Ausstellung über ihr Lebenswerk »Nansen Village« eröffnet wurde, war zwar ein kleiner Wehmutstropfen. Doch in der Gewissheit, dass Hans-Rudolf Ronning den ganzen Abend auf Film gebannt hat und Kurt und Charlotte Weinberg schon in wenigen Tagen die Bilder werden sehen können, war es ein bisschen so, als ob sie doch unter den Gästen weilten.

Eigentlich hat das »Nansen Village« eine traurige Vorgeschichte. Denn ganz sicher gäbe es diese Wohnanlage im Norden Londons, die jungen Doktoranden und ihren Familien für die Zeit ihres Studiums preisgünstige Unterkunft gewährt, nicht, wenn die Jugend Kurt Weinbergs anders verlaufen wäre. Als Mitglied der jüdischen Gemeinde in Werther musste Weinberg als Jugendlicher vor den Nationalsozialisten fliehen. Dies gelang in letzter Minute mit einem Kindertransport nach England.

Hier erfuhr Weinberg so viel Hilfe und Unterstützung, dass er die Dankbarkeit darüber unbedingt zurückgeben wollte. So entstand Ende der 1960er Jahre das »Nansen Village«.

Besonders an dieser Wohnanlage sind nicht nur das viele Grün, die Gärten und der Spielplatz. Sondern vielmehr die Tatsache, dass die Familien, die hier leben, aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Aus China, Japan, Indien, Nigeria, Kolumbien, eben aus aller Herren Länder, mit unterschiedlichem Glauben, unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen. "Das ist nicht nur ein Lernort, sondern ein Lebensort, eine familiäre Groß-WG", weiß Sigrid Ellerbrake, die das »Nansen Village« aus eigener Anschauung kennt.

Genau das ist es, was Weinbergs wollten und weshalb es dem Arbeitskreis so wichtig ist, das Projekt in einer Ausstellung vorzustellen: dass ein Zusammenleben der unterschiedlichsten Menschen funktionieren kann, ohne Vorurteile, ohne Ressentiments, wenn diese nur offen und tolerant genug sind, aufeinander zuzugehen.

Dass es durch die Herrschaft der Nationalsozialisten vor und während des Zweiten Weltkriegs ganz anders war, verheimlicht die Ausstellung nicht; im Gegenteil ist dieser Part essentiell, das Wirken von Kurt und Charlotte Weinberg zu verstehen.

Darauf kamen auch Ute Dausendschön-Gay, Karola Eisenblätter, Inge Guntenhöner, Ulrich Maaß und Sigrid Ellerbrake zu sprechen, die in die Ausstellung einführten - und die sich zusammen mit Bürgermeisterin Marion Weike sehr darüber freuten, dass so viele Besucher zur Eröffnung ins Rathaus gekommen waren.

Zum 90. Geburtstag von Kurt Weinberg wurde die Ausstellung eröffnet - zum 84. Geburtstag von Charlotte Weinberg am 28. August wird sie beendet. Bis dahin steht sie zu den gewohnten Öffnungszeiten des Rathauses für Besucher offen.


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