Quantcast
Channel: Haller Kreisblatt
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262

//kreisblatt2.rssing.com/chan-14680430/article1564-live.html

$
0
0

Von Ekkehard Hufendiek

Melle/Suttorf. Es ist ordentlich was los in Suttorf zwischen Theenhausen und Neuenkirchen: Der Bürgerverein »Sui-thorpa« hat erstmals unter dem Motto »Kultur im Dorf« einen Balladenspieler und eine A-cappella-Gruppe ins Dorf geholt. Insgesamt 250 Besucher strömen am Freitag- und Samstagabend in die Suttorfer Scheune auf den Hof Seidel. Sie erfahren begeistert, wie es beim Auftritt des Balladenspielers Rüdiger Paulsen leidenschaftlich "wallet und siedet und brauset und zischt", und sie hören berauscht, wie es beim Gesang des A-cappella-Chors »female affairs« heißblütig klingt und schwingt und schallt und hallt.

"Mein Lieblingsdichter ist Friedrich Schiller", sagt Paulsen gleich zu Beginn und fügt an, dass es ein Unterschied sei, ob man Balladen nur lese - wie in der Schule - oder ob man sie höre und miterlebe - wie bei ihm. Und dass Paulsen die Texte seines Programms »Und der Mensch versuche die Götter nicht!« so feurig vorträgt, liegt wohl auch an der reichen Lebenserfahrung des 63-Jährigen: Er war Chemielaborant, studierter Sozialarbeiter und er hat auch schon als Kindergärtner gearbeitet. Seit 1986 verdient er seine Brötchen vornehmlich mit Auftritten als Luftballonkünstler. Und seit 2003 hat er die Balladen-Inszenierung in sein Kleinkunstprogramm aufgenommen.

Jetzt belebt Paulsen diese fast vergessene literarische Gattung mit einer klaren Stimme und einem spielerisch leidenschaftlichen Vortrag. Dabei stehen seine spärlichen Bühnenutensilien - Pult, zwei Stühle und ein Tisch - im Kontrast zu seinem reichen Repertoire an Gestik und Mimik. Ganz in Schwarz gekleidet trägt Paulsen frei vor, so dringt sein starker Ausdruck tiefer ins Auge.

»Die Bürgschaft« von Friedrich Schiller, »Der Fluch« von Ludwig Uhland oder »Der Knabe im Moor« von Annette von Droste-Hülshoff - Paulsen bereichert seine Auswahl mit einer fühlbaren Spannung. Da überraschen die Pointen eindringlich, mit der die meisten dieser Klassiker enden. Zwischen jedem Stück lockert der Theenhausener die Aufmerksamkeit des Publikums, indem er etwas zum Dichter, zur Entstehungsgeschichte, oder zur Form der Ballade erzählt.

Otto Ernsts Ballade »Nis Randers« etwa sei Namensgeber eines heute im Dienst befindlichen Seenotrettungskreuzers. Außerdem besteche diese wohl bekannteste norddeutsche Ballade durch ihre klare, besonders dichte Sprache.

Gerührt von Paulsens intensivem Spiel ist auch Gabriele Stöve aus Werther, die mit ihrem Mann beide Kulturabende besucht. Am Ende von Otto Ernsts bekanntester Ballade »Nis Randers« sagt sie: "Mir wären fast die Tränen gekommen."

Genauso "fantastisch" findet ihr Mann Richard den Auftritt der »female affairs«. Die sechs Künstler, fünf Frauen und ein Mann, singen am darauffolgenden Samstagabend in der restlos ausverkauften Scheune a cappella - also ohne Begleitinstrumente. Einige der mehr als 200 Besucher müssen sogar stehen - es passen keine Stühle mehr vor die Bühne. Die Gruppe besticht durch einen geschickten Wechsel zwischen humorvoller und beschwingter Musik. In den Liedtexten geht es um weibliche Angelegenheiten, englisch: female affairs.

Renate Schindler fungiert als Bassstimme, Stefan Gwiasda vertont das Schlagzeug und Ute Winkelmann, Bettina Landmeier, Jördis und Almut Treude singen die helleren Teile. Dabei wechselt Ton- und Lichttechniker Gerd Mikol geschickt die Effekte.

Die Idee zu ihrem Stück »Ich« bekamen sie von einem Zeitungsartikel laut dessen Text eine Niederländerin sich selbst geheiratet habe. Mit ihren darauffolgenden Strophen, die die Floskeln der gängigen Liebeslieder aufs Korn nehmen, ernten sie zahllose Lacher: "Ich fühle genauso wie ich; ich bin alles, was ich will; ich allein kann mich verstehen; das Leben ist schön nur durch mich."

Nach der Pause folgt ein Kleiderwechsel und nun singen alle in schicker Abendgarderobe. Bevor sie drei Zugaben geben, begeistert sich Stefan Gwiasda für sein Publikum mit den Worten: "Das ist ja ein richtiger Hexenkessel hier."


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262