Von Marion Stickan
Versmold. Schon vor der Schule nimmt Antje Stamm-Schilling ihren Schützling in Empfang, als er von den Eltern gebracht wird. Zeit, um kurz Besonderheiten zu besprechen, die für den Schultag wichtig sind. Dabei geht es manchmal einfach darum, ob der Schüler gut geschlafen hat oder wie er sich gerade fühlt. Antje Stamm-Schilling ist gemeinsam mit sechs weiteren Frauen als Integrationskraft an der Versmolder Sonnenschule tätig und leistet dort für derzeit fünf Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf wertvolle Arbeit im Rahmen der Inklusion.
Für viele Menschen ist der Begriff Inklusion noch immer ein Wort, mit dem sie nicht viel anfangen können. Vereinfacht zusammengefasst geht es darum, dass förderbedürftige und nicht förderbedürftige Menschen an allen Bereichen des Lebens gleichberechtigt teilhaben können.
An der Sonnenschule Versmold werden bereits seit 2011 die Vorgaben der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum sogenannten Gemeinsamen Unterricht (GU) umgesetzt: Kinder, die zuvor auf einer Förderschule eingeschult worden wären, lernen jetzt mit den anderen zusammen im regulären Schulalltag.
"Wir möchten Brücken bauen, damit die Kinder mit und ohne Förderbedarf gemeinsam lernen und leben können", sagt Sonnenschulleiterin Andrea Kaumkötter. "Für jedes Kind mit Unterstützungsbedarf wird ein Förderplan von den Lehrkräften erstellt, an den sich die Integrationskräfte halten. Lehrer und Integrationskräfte arbeiten eng zusammen." Jedes Kind habe dabei natürlich andere Bedürfnisse. Wichtig sei die passgenaue Hilfe, damit sich ein Kind selbstständig entwickeln kann, erklärt Kaumkötter.
Antje Stamm-Schilling ist seit zwei Jahren an der Sonnenschule tätig und teilt sich mit Kollegin Gertrud Stratmeier die Betreuung eines Schülers, der in einer GU-Klasse unterrichtet wird. So ist auch bei Krankheit einer Kraft die Betreuung gewährleistet. Bei ihrer Arbeit in der Klasse hält sich Stamm-Schilling im Hintergrund, achtet aber immer darauf, ob ihr Schüler Hilfestellung bei einer Aufgabe benötigt oder die Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt ist. "Die Kinder sollen in Zukunft alleine klarkommen und den Schulalltag bewältigen", sagt Stamm-Schilling.
Nach dem Unterricht begleitet sie ihren Schützling auf den Pausenhof, bleibt immer in seiner Nähe und achtet auch darauf, dass er nicht hinfällt und sich verletzt. Der Schüler ist froh über seine Begleitung: "Ich finde es toll, dass Antje bei mir ist", sagt er und schließt Stamm-Schilling in die Arme. Empathie, Einfühlungsvermögen und Geduld seien die Voraussetzungen, um als Integrationskraft tätig zu sein, sagt die erfahrene Mitarbeiterin. Das Kind müsse Vertrauen haben und zugleich die Sicherheit, das jemand da ist, wenn es Hilfe benötigt.
Die Eltern spielen in diesem Prozess eine überaus bedeutungsvolle Rolle, denn sie vertrauen der Integrationskraft ihr Kind an. Auch Rückschläge müssen jedoch einkalkuliert und aufgearbeitet werden. Antje Stamm-Schilling arbeitet als freie Mitarbeiterin - wie fünf weitere Integrationskräfte der Sonnenschule - mit dem Landfrauenservice zusammen. Im Abstand von sechs bis acht Wochen haben sie die Möglichkeit an Supervisionen teilzunehmen, die von Psychologen geleitet werden. In Gruppengesprächen tauschen die Integrationskräfte ihre Erfahrungen aus und bekommen Hilfestellung, wie sie mit Situationen umgehen können.
Darüber hinaus nehmen die Mitarbeiter regelmäßig an Fortbildungen wie zum Beispiel dem Rendsburger Elterntraining teil, um Kompetenzen zu stärken und auszubauen. "Wir leisten keine pädagogische Arbeit, sondern sind eine Stütze im Schulalltag", erklärt Doris Altmann-Maschmann. Sie begleitet derzeit abwechselnd mit Monika Helmert zwei Kinder in der dritten Klasse. Beide halten sich ebenfalls im Hintergrund und warten, bis die Schüler oder Lehrer nach Unterstützung fragen. "Integrationskräfte müssen lernen, still zu sein und nur die Hilfe zu geben, die auch benötigt wird. Am Anfang war das für mich schon sehr schwierig, einfach abzuwarten. Man will ja helfen", sagt Altmann-Maschmann.
"Zu Beginn meiner Arbeit vor drei Jahren ging es erst einmal darum, wo welche Räume sind. Das habe ich mit den Kindern immer wieder geübt, bis die Sicherheit geschaffen war." Auch das Verhalten der Kinder auf dem Schulhof war oft erklärungsbedürftig. "Nicht alle Rangeleien sind immer ernst gemeint", sagt Doris Altmann-Maschmann beim Blick zurück.
"Wir haben an unserer Schule tolle, engagierte und kompetente Persönlichkeiten im Integrationsbereich. Ohne sie als wichtige Stütze ist die Arbeit nicht möglich", sagt Rektorin Andrea Kaumkötter.
Handlungsbedarf sieht sie hingegen in der Planung. Da die Eltern die Betreuung durch Integrationskräfte beim Jugendamt oder dem Kreis beantragen müssten, könne sie selber keine Kräfte einplanen. Auch bestehe ein Bruch zwischen dem Unterricht und dem Ganztagsangebot, denn die Betreuung durch Integrationskräfte ende im Vormittagsbereich. "Es müssten Gesetze geschaffen werden, damit diese Arbeit im Ganztag weitergeführt werden kann. Dann würden sicher mehr förderbedürftige Kinder auch im Ganztag betreut werden können."
Doris Altmann-Maschmann ist derweil schon wieder auf dem Weg in eine dritte Klasse, denn ihre Kinder schreiben jetzt eine Klassenarbeit, bei der sie mit Rat und Tat zur Seite stehen wird - natürlich nur begleitend, denn den Stoff haben die Kinder selbst drauf.