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"Angst hatte ich nie"

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von jonas damme

Steinhagen.
"Richtig realisiert was passiert ist, habe ich erst heute", sagt Ursula Lehmann. Sie und ihr Mann waren Gäste auf dem Kreuzfahrtschiff MS Britannia, das in der Nacht zu Sonntag leckgeschlagen war. Am Sonntagabend hatte ihr Sohn das Ehepaar aus den Niederlanden abgeholt. Obwohl der Schreck noch in den Knochen sitzt, loben die Lehmanns das vorbildliche Verhalten aller Beteiligten.

Acht Tage lang war das Steinhagener Ehepaar mit der Niederländischen Flusskreuzfahrt unterwegs. Schon seit vielen Jahren nimmt es an Flusskreuzfahrten Teil und hat dabei noch nie negative Erfahrungen gesammelt. Auch bei dieser Reise vom Veranstalter Nicko-Tours wirkte alles normal. "Das Schiff war schon älter", sagt Dieter Lehmann. "Aber alles war sauber und tipptop. Wir haben in den acht Tagen keine Haar in der Suppe gefunden", ergänzt seine Frau. Als das Schiff zu sinken drohte, lagen beide bereits im Bett. "Mein Mann hatte noch ferngesehen, das Spiel Deutschland gegen Ghana", erinnert sich Ursula Lehmann. Nach dem Spiel sei er in die Kabine gekommen.

Etwa eine halbe Stunde hätten sie erst im Bett gelegen, als sich der Vorfall ereignete, von dem sie bis heute noch keine Details kennen. "Auf einmal hörte man zwei laute Knalle", beschreibt sie. "Wir fragten uns: Was ist denn jetzt los?" Trotzdem seien sie ruhig geblieben. Zuerst hätten sie vermutet, das Schiff habe angelegt. Selbst als kurz später die Durchsage kam, die Passagiere aus den unteren Kabinen sollten sich im Salon einfinden, dachten beide noch an eine Übung - schliefen sie doch weiter oben.

Wenig später zeigte sich dann allerdings, dass es sich keinesfalls um eine Übung handelte. Die Crew brachte die Lehmanns wie die anderen 151 Gäste erst in den Salon, um sie wenig später zu evakuieren. "Angst hatte ich nie", sagt Ursula Lehmann. "Alle waren immer ruhig." Im Salon warteten viele in Nachthemden und Schwimmwesten, manche nahmen die Situation immer noch nicht ernst.

Dass Schiff hatte mittlerweile mehr schlecht als recht angelegt. "Da munkelte man bereits über ein Loch im Schiff", berichtet die Steinhagenerin. "Ein anderer Gast aus einer unteren Kabine sagte: So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie das Wasser stieg."

Von nun an sei alles ganz schnell gegangen. Etwa um 0.30 Uhr habe man das gesamte Schiff evakuiert. Die 153 Fahrgäste und 41 Mann Besatzung seien vorerst in eine nahe gelegene, leere Diskothek evakuiert worden. "Es waren ja fast ausschließlich Senioren", sagt Dieter Lehmann. Währenddessen begann die Feuerwehr bereits mit der Stabilisierung des 110 Meter langen Kreuzfahrtschiffes. Für das Verhalten von Einsatzkräften und Besatzung haben beide im Nachhinein nur Lob übrig: "Wenn es tatsächlich eine Übung gewesen wäre, würde ich eine Eins geben."

Die ganze Nacht über habe sich die Mannschaft hervorragend um alle gekümmert. Schnell wurde eine Turnhalle als Notfalllager aufgetan. Dort hätten sich Ärzte um die vielen Senioren gekümmert, die Medikamente bräuchten. "Das Wunder ist wirklich, dass alle ohne Schaden davon gekommen sind."

Am folgenden Tag wurden alle Passagiere in ein Hotel gebracht. Von dort aus habe Ursula Lehmann schließlich ihren Sohn angerufen, der sie mit dem Auto nach Hause fuhr. Ob sie wieder an einer Kreuzfahrt teilnehmen würde? "Im Moment kann ich es nicht sagen. Aber vielleicht." Und ihr Mann ergänzt: "Wer einen Autounfall hat, fährt ja auch weiter."


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