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Detektiv im Dienst der Polizei

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Von Marc Uthmann

Versmold-Oesterweg. Er war ein moderner Fährtenleser. Ulrich Pitke nahm seine Spuren zwar nicht in der Wildnis auf und verfolgte auch keine Tiere - doch er wurde gerufen, wenn es galt, ein Puzzle zusammenzusetzen. Pitkes Revier war Zeit seines Berufslebens die Straße: Für das Verkehrskommissariat der Polizei untersuchte er seit 1995 etwa 8000 Unfälle und spürte ihre Ursachen auf. Jetzt ging der Versmolder in Ruhestand (wir berichteten). Die Leidenschaft für seine Aufgabe hat er damit nicht abgestreift.

Das merkt der Gesprächspartner, wenn Ulrich Pitke erzählt, warum er sich für seinen Job so begeistern konnte: "Ich fahre selbst sehr gerne Auto. Die Themen rund um den Straßenverkehr haben mich bei der Polizei immer interessiert." Vor allem die Frage, wie ein Unfall zustande gekommen ist, faszinierte Pitke schon im klassischen Wach- und Wechseldienst. Das Interesse wurde durch eine Urlaubsvertretung in der Unfallsachbearbeitung noch verstärkt. Und als die Aufgaben in der Behörde dann neu geordnet wurden und die Kreispolizeibehörde ein Verkehrskommissariat schuf, war die Chance da. "Ich wusste, dass dort eine Stelle frei war und habe mich beworben", erinnert sich Pitke. Fortan war er für die Aufarbeitung der Unfälle in Versmold und Borgholzhausen zuständig.

Nun war er in all den Jahren seit 1995 nicht nur als Detektiv auf den Straßen unterwegs. "Zu meinem Job gehörten zahlreiche Fälle von Trunkenheit im Verkehr und sehr viele frisierte Roller", sagt der Versmolder und lacht. Doch seine Berufung, das war die Aufklärung von Unfallszenarien. Ein komplexes Handwerk, in das er sich dank der Unterstützung der Dekra-Sachverständigen einarbeitete: "Heute gibt es einen sechswöchigen Lehrgang als Vorbereitung. Ich wurde damals ins kalte Wasser geschmissen", sagt der 62-Jährige.

Auf der Straße musste Pitke lernen, die vorhandenen Spuren zu deuten. Hatten die Reifen beim Bremsen blockiert, so dass bei der Kollision zweier Fahrzeuge ein sogenannter Spurknick entstand? Oder gaben nur normale Bremsspuren Aufschluss über den Unfallhergang, oft mühsam zu identifizieren über Staub und Splitt? "Vor Ort ging es stets darum, alles zu ermitteln und festzuhalten, was für die Beteiligten bei der Schadensregulierung wichtig werden würde", erklärt der erfahrene Polizist seinen Beruf in einem Satz. "Der Unfallverursacher muss ermittelt werden - "aber dabei geht es nicht um Kategorien wie Schuld", betont Pitke.

Er war stets ein nüchterner Spurenleser, der sich über Glas, Lack und Dreck auf der Straße freute - weil ihm das die Geschichte eines Unfalls erzählte. "Kratzspuren auf der Straße verrieten mir zum Beispiel, dass die Autos durch die Kollision nach unten auf die Straße gedrückt wurden", verrät der Neu-Pensionär, der jetzt in Oesterweg lebt.

Doch bei allem detektivischen Ehrgeiz - wie ging Ulrich Pitke mit dem Leid um, das er an den Unfallstellen vorfand? Denn er wurde zu besonders kniffligen Fällen gerufen - immer aber zu den Tragödien mit tödlichem Ausgang oder Schwerverletzten. "Ich bin sicherlich nicht abgestumpft - aber man muss diese Dinge irgendwann auch wegschieben können. Wenn Kinder involviert waren, ist mir das aber immer sehr schwer gefallen."

Ende der 80er-Jahre war Pitke nicht im Dienst, als vor seinen Augen ein Junge von einem Auto erfasst wurde. "Ich habe ihn beatmet und Herzmassage gemacht, dann wurde er in eine Klinik ausgeflogen - wo er aber zwei Tage später starb" - das traf Ulrich Pitke auch deshalb, weil sein Sohn im gleichen Alter war. Auch die heftigen beruflichen Jahre mit bis zu 15 tödlichen Unfällen in Pium und Versmold ließen ihn nicht kalt. Die Freude verlor er trotzdem nicht - "aber ich gehe jetzt genauso gern in Ruhestand", sagt Ulrich Pitke. "Die Belastungen der Kollegen werden immer höher, der Sparzwang bei der Polizei tut sein Übriges." Auch den Respekt der Bevölkerung für die Beamten vermisst der jetzt ehemalige Spurensucher. Er ist in seinem einstigen Revier auf der Straße nur noch als Fahrer unterwegs.


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