Quantcast
Channel: Haller Kreisblatt
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262

Freundschaft über alle Stände hinweg

$
0
0

Von Marc Uthmann

Versmold-Bockhorst. Es ist ein Foto, versehen mit wenigen Zeilen - doch es bedeutete zu seiner Zeit eine große Geste. "Zur steten Erinnerung" hatte Hauptmann Engels unter die Aufnahme geschrieben, die am 4. Juni 1916 entstanden war. Diese Worte waren für Heinrich Böggemeyer bestimmt, einen einfachen Soldaten. Und legen Zeugnis ab von einer Freundschaft, die in den Zeiten des Ersten Weltkrieges auf ihre Art an gesellschaftlichen Barrieren rüttelte.

Die Bockhorsterin Marianne Böggemeyer hatte im Haller Kreisblatt von der Serie zum Ersten Weltkrieg gelesen und sich den Aufruf zur Spurensuche zu Herzen genommen. "Ich habe das Fotoalbum meiner Schwiegermutter Marie hervorgeholt", erzählt die 85-Jährige. Dabei stießen sie und ihr Mann Wilfried (88) auf die Aufnahme, die eine besondere Freundschaft belegt. "Mein Vater war einfacher Soldat, wenn auch im Eliteregiment des siebten Jägerbataillons aus Bückeburg", erzählt Wilfried Böggemeyer. Die Freundschaft mit einem Hauptmann sei alles andere als selbstverständlich gewesen. "Die mussten doch sonst nur kuschen!"

Heinrich Böggemeyer wurde im Ersten Weltkrieg an der Westfront eingesetzt - vermutlich im belgischen Flandern und im französischen Verdun. Wo die Aufnahmen entstanden sind, lässt sich heute leider kaum noch nachvollziehen. "Leider sind die Bilder nicht beschriftet", sagt Marianne Böggemeyer und richtet ihre Lupe auf ein bewegendes Foto, das trauernde Soldaten - unter ihnen zweifelsfrei Hauptmann Engels - um eine Grube mit Särgen stehend zeigt. Bitterer Frontalltag, der sich 100 Jahre nach Kriegsausbruch in einem Fotoalbum nachempfinden lässt.

Ein anderes Bild zeigt Heinrich Böggemeyer - stolz und aufrecht in Uniform - neben seiner am Tisch sitzenden Verlobten Marie, geborene Lefelmann. Eine Szene aus dem Jahr 1916, kurz bevor der Soldat einberufen wurde. "Heiraten durften die beiden nicht - die Eltern von Marie haben entschieden, dass sie den Krieg abwarten mussten", erzählt Marianne Böggemeyer. "Sonst hätte sie am Ende noch als Witwe auf einem fremden Hof gesessen."

So waren die gesellschaftlichen Gesetze - doch die Freundschaft zwischen einem einfachen Soldaten und seinem Hauptmann höhlte die Mauern einer damals immer noch ständisch geprägten Gesellschaft aus. Der Krieg machte die Menschen in seiner grenzenlosen Grausamkeit etwas gleicher. Über das, was er an der Front erlebte, hat Heinrich Böggemeyer mit seinem Sohn dennoch nur wenig gesprochen. "Das kam damals eigentlich fast nie zur Sprache. Zumal ich in den ersten Jahren ein Kind war, und dann mit 17 schon selber als Soldat eingezogen wurde", sagt Wilfried Böggemeyer, der im Zweiten Weltkrieg zur Ostfront ausrücken musste und dort später drei unsagbar harte Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft durchlitt.

Die Bande zwischen seinem Vater Heinrich und Hauptmann Engels, sie rissen jedoch nicht ab. Noch im Jahr 1956 sahen sie sich bei einem Gedenktreffen ihres Bataillons in Bückeburg wieder - auch von dieser feierlichen Zeremonie sind Fotos erhalten geblieben.

Welch wertvolle Zeitdokumente sie da in ihren Alben haben, ist Marianne und Wilfried Böggemeyer erst jetzt bewusst geworden. "Früher wurden ganz viele Fotos verbrannt. Weil man mit der Vergangenheit reinen Tisch machen wollte", sagt Wilfried Böggemeyer. Manche dieser Erinnerungen wünscht er sich heute zurück - die an eine besondere Freundschaft seines Vaters kann ihm niemand mehr nehmen.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262